Exkurs: Partizipatives Veranstaltungsdesign
Darf immer nur vorne die Musik spielen?
Ein voller Veranstaltungssaal. Sagen wir, 250 TeilnehmerInnen.
Das ergibt Daumen mal Pi einen Schatz von rund 5.000 Jahren Lebens- und Berufserfahrung – samt aller darin gesammelter Ideen, Know How und Leidenschaften.
Diesen Schatz kann man klassisch in Sesselreihen still sitzen lassen.
Oder man kann ihn aktivieren und als lebendige Ressource nutzen, indem man die Gäste in aktive Rollen bringt und sie die Veranstaltung mitgestalten lässt.
Grundsätzlich gibt es drei verschiedene Anwendungsbereiche für interaktive Programmelemente bei Tagungen, Konferenzen und Kongressen:
(1) Networking mit wirklichem Mehrwert:
Bei vielen Veranstaltungen steht „Networking“ am Programmfolder. Doch meistens, nicht immer, aber meistens bleibt dieses Kontakte-Knüpfen den TeilnehmerInnen selbst überlassen. Und was passiert dann? Man steht in der Pause erst wieder nur mit jenen Menschen zusammen, die man ohnehin schon kennt.
Menschen folgen automatisch ihrem Instinkt und fühlen sich von bereits Bekanntem, also von Menschen, die man schon kennt, angezogen.
Es gibt aber immer TeilnehmerInnen, die, wenn sie gerade an einem spannenden Projekt arbeiten oder engagierte Unternehmer sind, großes Interesse daran hätten, neue Menschen kennenzulernen, um neue Kooperationspartner, spannendes neues Wissen oder neue KundInnen zu finden.
Aber nur ganz wenigen Menschen liegt es, einfach so fremde Menschen anzusprechen.
Daher ist es für alle nützlich, Programmpunkte mit moderiertem, strukturiertem Networking einzuplanen.
Das kann ein ganz einfacher Aufruf sein, Dreiergruppen zu bilden mit Menschen, die man noch nicht kennt und sich einander vorzustellen.
Das Gute, wenn ein solcher Programmpunkt moderiert wird, ist nämlich auch, dass die Moderatorin nach einigen Minuten auch sagt, dass gewechselt wird oder dass der nächste Programmpunkt beginnt. Denn es kann auch passieren, dass man aus Höflichkeit in einem Smalltalk hängen bleibt, wo nach 30 Sekunden klar ist, dass hier nichts Ersprießliches entsteht. Und da ist es dann eine charmante Erleichterung, wenn die Moderation sagt: „Danke, es geht wie folgt weiter …“
Oder es kann eine wesentlich strukturiertere Methode sein, zum Beispiel die „One-Minute-Battle“-Vorstellung: Es wird die Möglichkeit gegeben, sich und sein Projekt oder seine Produkte und Dienstleistungen auf der Bühne vorzustellen, Zeitlimit 60 Sekunden. Dann gibt es 20 Minuten Zeit, damit sich alle TeilnehmerInnen zu den für sie interessanten Personen dazustellen und Gespräche führen.
Diese Vorgehensweise weist schon deutlich in Richtung des Großgruppenformates „Open Space“, auf das ich noch weiter unten eingehen werde.
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Im Grunde ist jede Vorstellungsrunde, jede Networking-Pause eine Chance, mit ein paar wenigen Moderations-„Handgriffen“ spürbaren Mehrwert für die Teilnehmer zu erzielen. Methode und sinnvolle Fragestellungen sollten natürlich immer zur Veranstaltung und zur Zielgruppe passen.
(2) Die Erfahrungen und Ideen der Teilnehmenden als „Sounding Board“ nutzen:
Oft werden bei Konferenzen viele spannende Projekte präsentiert.
Egal, in welchem Status ein Projekt ist, ob vor dem Launch, in der Konzeptionsphase, nach Erreichen erster Meilensteine, im Endspurt oder nach Abschluss, es kann immer immens wertvoll sein, Menschen, die bisher noch nicht involviert waren, darum zu bitten, ob sie mit ihren Erfahrungen und Ideen, vielleicht auch mit Fragen und Bedenken die Gesamtperspektive auf das Projekt erweitern würden. Menschen beteiligen sich gerne. Und Menschen bergen eine Fülle von Know How Ressourcen.
Wenn man diese Möglichkeit bei einer Veranstaltung nutzen möchte, dann funktioniert das „moderations-technisch“ wie folgt:
- Überlegen Sie, welche konkrete Frage(n), Sie Ihrem Publikum stellen wollen, damit die TeilnehmerInnen zielorientiert beitragen können.
- Teilen Sie die Menschen in arbeitsfähige, kleine Gruppen.
- Bestimmen Sie eine/n ModeratorIn in der Kleingruppe.
- Übertragen Sie Verantwortung dafür, dass die Erkenntnisse als Ergebnisse visualisiert und gesichert werden.
Das sind klassische Settings der Großgruppen-Arbeit und finden zum Beispiel auch im bekannten Format des „World Cafés“ Anwendung.
(3) Die TeilnehmerInnen selbst Programm machen lassen:
Es kann ein ungewohntes, aber sehr wertvolles Element einer Tagung sein, wenn zu einem vordefinierten Themengebiet, die Menschen in "real time" selbst das Programm gestalten können.
Solche Programmpunkte laufen oft unter dem Schlagwort „Open Space“. Es muss aber nicht immer ein klassischer Open Space nach Harrison Owen sein, es muss auch kein ganzer Tag sein. Es kann schon ein Zeitfenster von 2-3 Stunden sehr gut mit Open Space Elementen gestaltet werden.
Das Grundprinzip ist einfach erklärt:
Die TeilnehmerInnen werden eingeladen, eine Fragestellung zu nennen, zu der sie sich mit anderen Menschen austauschen wollen. Dazu wählen sie eine Uhrzeit und einen Ort, also sie definieren, wo und wann sie dies tun wollen. Sobald alle TeilnehmerInnen ein Thema genannt haben, die das möchten, beginnt diese „Open Space“ Konferenz.
Und ja. Ja. Es wird ein bisschen Chaos entstehen. Und ja, bei manchen Themen werden sehr viele Personen sein, bei anderen wenige. Aber das ist bei Open Space kein Wertmaßstab. Die, die da sind, sind die Richtigen. Und es haben schon „Alleingebliebene“ die Zeit genutzt, um endlich mal eine Stunde mit sich selbst über das eigene Projekt nachzudenken und sind zu den nützlichsten Erkenntnissen gekommen.
Zum Abschluss ein paar Einblicke in das Moderations-Handwerkszeug für Großgruppenarbeit:
Bei den oben genannten Anwendungsbereichen ist es für Konzeption und Moderation eines interaktiven Programmpunktes immer hilfreich, drei Aspekte bewusst zu überlegen:
- Was ist der Sinn und Nutzen für die TeilnehmerInnen und für die Veranstalter? In welchem Kontext steht der Programmpunkt? Was kommt vorher, was nachher?
- Was genau soll das Thema, die Aufgabe sein, welche Frage stelle ich?
- Welche methodische Vorgehensweise wähle ich als Moderatorin? Wie viele TeilnehmerInnen sind es? Wie viel Zeit, welche Materialien brauche ich?
Aus meiner langjährigen Erfahrung mit vielen interaktiven, innovativen Großveranstaltung möchte ich dazu ermutigen, mehr von dem zum offiziellen Programm zu machen, was sonst nur inoffiziell in den Kaffeepausen passiert.